Schloss
Burgrain, Mittelpunkt der gleichnamigen freisingischen
Herrschaft
Die fürstbischöflich freisingische
Herrschaft Burgrain war ein winziges, reichsunmittelbares Territorium mitten im
altbayerischen Machtbereich der Wittelsbacher. Von seiner Gründung im Jahre
811, bis zu seiner Auflösung im Zuge der Säkularisation 1803, bildete es über
den beachtlichen Zeitraum eines ganzen Jahrtausends den geistlich-religiösen
und weltlichen Rahmen für das Leben im oberen Isental.
Schloss Burgrain, der administrative Mittelpunkt und Namensgeber
dieser Herrschaft, ist heute wohl der bedeutendste Zeuge aus dieser Zeit.
Wenn wir in seinem Burghof stehen und uns umsehen, so beginnt beim Anblick der
mächtigen alten Mauern unwillkürlich die Phantasie zu arbeiten und Fragen zu
stellen, die uns dieser steinerne Zeuge jedoch normalerweise nicht so ohne
weiteres beantworten will.
Gott sei Dank „verirrte sich“ aber auch schon Ludwig Heilmaier, der bedeutende Heimatforscher unseres
Gebietes, in seiner Jugend „im Winkelwerk des Burgrainer
Schlosses“, wie er uns im Vorwort seiner Chronik „Die Herrschaft
Burgrain“ aus dem Jahre 1911 [1] verrät. Heilmaier
ließ aber nicht nur seine Phantasie arbeiten, sondern verfasste mit dem oben
genannten Buch das Standardwerk, das auch uns hier helfen kann, einen kurzen
geschichtlichen Überblick und nebenbei einige Episoden aus der Historie des
Schlosses und der Herrschaft Burgrain in Erinnerung zu rufen. Zunächst wollen
wir uns aber mit den geographischen Gegebenheiten vertraut machen.
Das obere Isental im Bereich der
risseiszeitlichen Endmoräne war wie geschaffen für die Gründung von geschützten
Siedlungen. Da die Nebenbäche meist im spitzen Winkel in die Isen münden und
sich einige dabei tief in die Hochterrasse eingegraben haben, entstanden vor
den Mündungen herausragende Bergnasen, die sich als ausgezeichnete
Befestigungspunkte anboten. Die von allen diesen Plätzen beste geographische
und morphologische Lage mit nach drei Seiten steil abfallenden, 40 Meter tiefen
Hängen war sicher der ausschlaggebende Grund für die Entstehung Burgrains als
erste Befestigung. Es ist anzunehmen, dass hier schon während der Kelten- und
der nachfolgenden Römerzeit ein befestigter Punkt vorhanden war. Beweise dafür
sind jedoch nicht vorhanden.
Schriftliche Dokumente finden wir erst ab dem 8. Jahrhundert, als
das Gebiet rund um das 747 gegründete Kloster Isen in das Interessensgebiet der
Bischöfe von Freising gerät und diese es verstehen, durch Kauf und Tausch –
mithin auch Verdrängung – ein immer geschlosseneres
Untertanengebiet zu gestalten.
Atto der Kienberger, Bischof von Freising, erwirbt im Jahre 811
Burgrain im Tausch von dem Edlen Riphuin aus dem
bajuwarischen Adelsgeschlecht der Fagana. Dieser Tauschvertrag
wird im Jahre 816 durch den Kaiser Ludwig I. bestätigt und stellt die
älteste urkundliche Erwähnung des Siedlungspunktes Burgrain dar. Freilich
ist in der Tauschurkunde mehr von „… zu den Höfen gehörigen Häusern
und Grundstücken, Obstgärten, Äckern, Wiesen,…“ die Rede als von
einer „Herrschaft Burgrain“ [3].
Ein jähes Ende findet diese planmäßige, wirtschaftliche
Entwicklung in Folge der Ungarneinfälle im frühen 10. Jahrhundert. Die
schriftlichen Aufzeichnungen verstummen und banges Schweigen senkt sich über
unser Ländchen.
Erst im Jahre 1025 hören wir wieder von Burgrain. In diesem
Jahr überlässt Bischof Egilbert aus seinen
Kirchengütern unter anderem die Fronhöfe Isen und Burgrain der Kaiserinwitwe
Kunigunde zur Nutznießung auf Lebenszeit. Der Bischof revanchiert sich hier
für bedeutende Schenkungen, Begünstigungen und die Unterstützung beim
Wiederaufbau der verelendeten freisingischen
Besitztümer durch Kaiser Heinrich II. (973 - 1024) und seine Gemahlin
Kunigunde. Zur Erinnerung daran ließ man bei der Neuerbauung der Schlosskapelle
1719 den rechten Seitenaltar der hl. Kunigunde weihen. Eine Inschrift über dem
Altar spricht von der Kaiserin als Nutznießerin von Burgrain.
Wenn bisher immer von Höfen, Grundstücken und der Nutzung der
selbigen die Rede ist, so fragt man sich wohl zu Recht ob der Begriff
„Herrschaft“ den Status Burgrains nicht recht übertrieben darstellt.
Schließlich sind ja wesentliche, notwendige Voraussetzungen wie Landesgrenzen
und Souveränität, Rechtsprechung und Steuererhebung bisher nur teilweise
geklärt. Diese äußerst komplizierte geschichtliche Entwicklung, zusammengefasst
in dem Begriff „Territorialisierung“, wird von Hubert
Glaser im Falle Burgrain wie folgt dargestellt [4]: „…Im 12. Jahrhundert
erscheinen Freisinger Ministerialen auf der Burg von Burgrain; ab 1227 werden
Freisinger Amtleute erwähnt; Burgrain ist also damals
bereits ein administrativer Mittelpunkt des Freisinger Territorialbesitzes
gewesen. Für die landesherrliche Gewalt der Freisinger Bischöfe über die
Herrschaft Burgrain lieferte der Vertrag von 1284 zwischen Bischof Emicho (1283 – 1311) und Herzog Heinrich XIII. von
Niederbayern die – einigermaßen labile – Grundlage……Allerdings
durchziehen Streitigkeiten über den Umfang der Freisinger Rechte das ganze 16.,
17. und 18. Jahrhundert….“
Nun also im 13. Jahrhundert angekommen, können wir es uns
erlauben, die Grenzen der Herrschaft Burgrain zu beschreiben, die
übrigens auch heute noch an ihrer östlichen Seite durch eine beträchtliche
Anzahl alter Steinsäulen markiert wird.
Vom Quellgebiet der Isen nördlich von Maitenbeth
und dem Großhaager Forst bis zum Richtungswechsel des kleinen Flüsschens bei
Lengdorf nach Osten hin erstreckte sie sich von Süden nach Norden über nur
wenig mehr als 10 Kilometer. Die durchschnittliche Ost- Westausdehnung betrug
etwa 5 Kilometer.
Diese sehr kompakten Ausmaße hatten natürlich den Vorteil, dass in
dieser Zeit der Türmer zu Burgrain von seinem etwa 25 Meter hohen, in der
ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts
„funkelnagelneu" erbauten Bergfried mühelos aufmarschierende
Feinde bereits dann melden konnte, wenn sich diese noch im „Ausland“, etwa in
der östlich gelegenen Grafschaft Haag befanden.
Es sei dem Autor hier noch die Bemerkung erlaubt, dass er als
„spätgeborener“ Burgbewohner in der Schule manchmal auf mitleidiges Lächeln stieß,
wenn er auf den winzigen lila Punkt im Geschichtsatlas deutete, der das
Herrschaftsgebiet markiert [5].
Ob sich die Bischöfe mit dem Bau des gewaltigen, aus Nagefluh-Quadersteinen erbauten Bergfrieds finanziell
übernommen hatten, können wir nur vermuten, jedenfalls mussten sie vom 13.
bis 15. Jahrhundert Burgrain mit seinen Ländereien immer wieder verpfänden,
bzw. zu Lehen geben. Häufige Streitigkeiten, meist finanzieller Natur, mit der
benachbarten Grafschaft Haag sind dokumentiert. Trotzdem wird im 15.
Jahrhundert unter den Bischöfen Hermann (1412-1421) und Nicodemus
(1422-1443) Burgrain zu einer spätmittelalterlichen Festungsanlage erweitert.
Es entstehen eine ca. 8 Meter hohe Umfassungsmauer mit Wehrgang, der Palas an
der geschützten Nordseite der Burg, Wirtschaftsgebäude an der Ost- und
Südostseite (Zehentkasten) und eine quadratische, in
die Wehranlage integrierte gotische Kapelle an der Südwestecke des Areals. In
den beiden ältesten bekannten Ansichten von Schloss Burgrain aus dem Jahre 1528
im Bayerischen Hauptstaatsarchiv kann man alle oben genannten Teile gut
erkennen. Mehr noch, die Planskizzen sind in ihren Proportionen
überraschenderweise so präzise ausgeführt, dass man aktuelle Fotografien
ziemlich deckungsgleich darüber legen kann.
Nachdem 1594
Burgrain ein letztes Mal gegen ein Darlehen von 15800 fl.
(=Gulden) an das Domkapitel zu Freising verpfändet worden war, verbleibt es ab
1600 endgültig und ausschließlich im Besitz des Bistums Freising. Die Bischöfe
berufen einen Pfleger, der auch die niedere Gerichtsbarkeit ausübt. Zeitweise
begegnen wir auch einer auf drei Personen verteilten Verwaltung mit Pfleger,
Kastner und Richter, was einen vielleicht an die heutige Gewaltenteilung
erinnern mag.
Während des 30-jährigen Krieges wird Burgrain im Jahre 1633
von den Schweden und noch einmal im Jahre 1648 durch Schweden und Franzosen
geplündert Angeblich sollen die Feinde einen im Turm vergrabenen „Schatz
an Gold“ gefunden haben. 1634 wütet die Pest im Burgrainer
Land und 1639 werden große Teile des Schlosses ein Raub der Flammen. Wie
wahrhaft ungeheuerlich diese schreckliche Zeit war, kann man einem Brief des
damaligen Pflegers Christian Itt an den Bischof
entnehmen. Itt schreibt darin: „Bin heint Nacht im Schloß gelegen,
und weilen ain gespenst so übl regiert, mag ich darin nit
bleiben, sondern ziehe heint ... ins Dorf hinab, mag
mehreres nit schreiben vor schreckh
und khumerniß“ (Heilmaier).
Aber immer wieder stabilisieren sich die Zustände in Burgrain. Der
abgebrannte Zehentkasten muss auch ohne Unterstützung
durch die Hofkammer zu Freising schnellstens wieder aufgebaut werden, hat er
doch für den wirtschaftlichen Kreislauf in unserem Ländchen und darüber hinaus
bis nach Freising große Bedeutung. Schließlich dient er als Depot für die naturalisierten
Steuereinnahmen des Bischofs.
Im 17. und frühen 18. Jahrhundert wird das Schloss häufig vom
jeweiligen Bischof besucht, der dann in seinen Herrschaftswäldern der Jagd
nachgeht und in den sog. Fürstenzimmern residiert. 1644, also nur 5 Jahre nach
dem oben erwähnten absoluten Tiefpunkt, schreibt Bischof Veit Adam an „…Jakob
dem Jäger…(auf das)… shwarzwiltpret diser Zeit guet achtung zu geben… dann Wür … uns
nach Burckhrain zubegebens
willens seindt…“
Der herausragende Fürstbischof Johann Franz Eckher
von Kapfing und Lichteneck
(1695-1727) lässt große Teile der Burg
umbauen, um dem Gebäude mehr den repräsentativen Charakter eines Schlosses zu
verleihen. Dabei erweist er sich aber als umsichtiger, behutsamer und
kunstsinniger Bauherr. Als Krönung seiner Bautätigkeit in Burgrain gelingt es
ihm mit dem Neubau der barocken Schlosskapelle ein Juwel zu schaffen,
das auch heute noch als kunsthistorisches Kleinod gilt.
Mit Fürstbischof Eckher endete
allerdings diese letzte Blütezeit der Herrschaft Burgrain und es scheint so,
als hätten seine Nachfolger nur noch deren wirtschaftlichen Erträge aus Zehent,
Forstwirtschaft und Brauerei im Blick gehabt. Schließlich, im Jahre 1800,
opferte man sogar das Wahrzeichen der Herrschaft, den romanischen Bergfried,
als Baumaterial für einen Bierkeller! Man mag fast denken, die 3 Jahre später
erfolgte Auflösung der Herrschaft im Zuge der Säkularisation sei
geradezu eine gerechte Strafe für diesen Frevel gewesen.
Seit mehr als zweihundert Jahren gibt es keine Herrschaft Burgrain
mehr und das gleichnamige Schloss hat seine Bedeutung als Mittelpunkt unseres
hier betrachteten Ländchens längst verloren. In dieser Zeit hat das Schloss
mehrfach seine Besitzer gewechselt, zusammengenommen kann man etwa 8
Generationen an Bewohnern zählen. Der Großvater des Autors kaufte das Schloss
im Jahr 1919. Seit 1982 sind die beiden Brüder Ulrich und Jürgen Klapp zu
gleichen Teilen Eigentümer und bewohnen mit ihren Familien Burgrain. Die
Schlosskirche gehört zum Pfarrverband Isen und ist bei Messen und nach
Anmeldung beim ortsansässigen Mesner zugänglich.
Ulrich
Klapp
Schloss Burgrain, Januar 2008
Quellen- und Literaturangaben
1.
Ludwig Heilmaier:
Die ehemalige freisingische Herrschaft
Burgrain, München 1911
2.
Rosemarie Klapp:
Denkmalpflegerische Probleme der privaten
Burgen und
Schlösser
in Bayern, aufgezeigt am Beispiel des Schlosses
Burgrain,
Zulassungsarbeit, April 1974 (unveröffentlicht)
3.
Reinold Härtel:
Übersetzung des
Tauschvertrages aus: Die Traditionen Des
Hochstifts
Freising, I Band (744-926),
Bitterauf T, München
1905
4.
Prof. Dr. Hubert Glaser: Hochstift Freising;
Beiträge zur Besitzgeschichte,
München
1990
5.
F. W. Putzger
Historischer Weltatlas, 84. Auflage, Verlag Velhagen&Klasing
Dieser Artikel wurde in etwas gekürzter Form im nachfolgenden Buch
veröffentlicht
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Dieter Vogel/Albrecht Gribl Das
Buch beschreibt den Landstrich, die Menschen und ihre Geschichte, die Tiere
und Pflanzen, Meisterwerke der Kunst und Architektur. Großformat,
144 Seiten |
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